Das ist jetzt bald ein Jahr her dass ich meine Diagnose bekommen habe, den Tag werde ich nie vergessen. Vor einem Jahr hatte ich „meine letzten unbekümmerte Momente“.
Ich schreibe dies jetzt, um neudiagnostizierten Patienten etwas näher zu sein, etwas Beistand zu leisten und auf zu zeigen, dass die Erde doch weiterdreht. Ich habe damals gewünscht, es gäbe eine Stelle, wo es einem Schritt für Schritt gesagt wird, was in dem Fall zu tun ist.
Die Diagnose hat, wie ein D-Zug über mich gerollt, mein bisheriges Existenz auf den Kopf gestellt und zerpflückt. Dies kann natürlich für jeden unterschiedlich erlebt werden, ich lebe alleine, meine Familie 1000 km weit weg, ich habe (gewollt) keine Kinder und keinen Mann (ich dachte ich habe noch Zeit). Ich mache Sachen mit mir allein aus, so die Diagnose auch.
Ich habe zwar längere Zeit schon gespürt, dass mit mir etwas nicht stimmt, ich habe aber alles auf Stress geschoben, ich habe ja Unmengen Überstunden geschoben. Mit einigen Tricks habe ich mich aber durch das Leben gemogelt und ich dachte, eines Tages kommt eine Zauberpille die alles lösen wird.
Ich war beim Neurologen, aber hauptsächlich wegen Gleichgewichtsproblemen, meine anderen Symptome habe ich da nicht mit eingebracht, da ich dachte, die sind anderer Ursprungs. Mich hat das unendlich gestört dass ich auf meine Highheels Probleme hatte. Vor allem, früher machte mir das nichts aus, ich habe mit 18 cm Auto gefahren und eine Beachparty in Sand (!) problemlos überstanden. Im Büro oder im Freundeskreis, war ich für meine hohen Schuhe bekannt, und ich habe sehr viele paare noch zuhause.
Nach einem Jahr Antidepressiva und Psychologe (der meinte, dass mir nichts fehlt) wurde ich in den Krankenhaus eingewiesen und da wurden eine Reihe Untersuchungen gemacht – und da haben die es entdeckt, auf MRT-Aufnahmen.
Ich erinnere mich noch wie die Ärztin mir mitgeteilt hat, dass die leider doch was gefunden haben. Dass die was gefunden haben ist ok, ich habe nie davor von MSA gehört. Was machen wir nun dagegen? Da sagte mir die Ärztin, das wir dagegen leider nichts machen können, höchstens die Entwicklung kann ich mit viel Sport und Aktivität verlangsamen. Sie hat dann grob die Erkrankung erklärt, wobei sie hat vieles dabei ausgelassen (was für ein scheiss Aufgabe, ich möchte niemanden sowas mitteilen müssen). Ich habe sofort meine Schwester angerufen und geheult. Meinen Arbeitskollegen (ich bin noch danach ins Büro gegangen) einen SMS geschickt, dass die am besten mich gar nicht ansprechen sollen, wenn das geht, denn mich hat schon ein Blick zum heulen gebracht.
Ich habe dann zwei Tage und zwei Nächte durchgeheult, nichts gegessen und nicht geschlafen. Ich habe natürlich dieses Ding gegoogelt, und dann ist es mir erst schlecht geworden. Ich habe allerdings versucht, mich auf seriösen Seiten zu informieren, um Horrornachrichten zu vermeiden, die waren aber so oder so Horrornachrichten. Man findet Aussagen, wie „Lebenserwartung 6 bis 10 Jahre“, schlimme Symptome die man so gut wie nicht lindern kann, Rollstuhl oder künstliche Ernährung.
Mit meinem Freund habe ich ein Tag nach der Diagnose Schluss gemacht – was mein Herz fast zerrissen hatte – wir hatten allerdings nicht die Art von zukunftsplanenden Beziehung, wo ich mich als Pflegefall ihn aufdrängen würde. Er hat auch lange an diese Trennung genagt, und oft nach warum gefragt. So „ein bisschen Rollstuhl“ kann man irgendwie einbauen. Da ist leider MSA keine Krankheit, wo es damit erledigt wäre. Ich dachte, wenn er das genau wissen will, dann googelt er selber, ich habe nicht groß erklärt warum ich so entschieden habe, ich habe einfach gesagt, dass ich nicht mehr die Person bin, in der sich er verliebt hatte. Natürlich wäre es noch ein Zeit lang gegangen, aber wo macht man elegant und schmerzfrei Schluss? Abwarten bis er sagt „Ich möchte aber deine Nase nicht abputzen“ würde nur unnötig weh tun.
Ich denke, es spielt sicherlich eine grosse Rolle, dass man sich, seinen Körper nicht mehr mag und den eigenen Körper nicht mehr vertraut, man sieht ein, dass man gewisse Sachen nicht mehr kann, und es wird auch nicht mehr besser werden. Mein Ex hat Monate lang noch um ein Treffen gebeten, und mich oft gefragt, wie es mir geht, was mich dann nur zum heulen brachte, bis ich ihn dann blockiert habe an meinem Handy. Er weiss zwar, wo ich wohne aber er würde nie ohne Ankündigung aufkreuzen.
Als diese erste Überforderung vorbei war, wurde ich dazu gezwungen mein übriggebliebenes Leben in die Hände zu nehmen. Da hat man keine Zeit, um sich mit diese Diagnose auseinander setzen, da prasseln auf einen existenzielle Dinge ein.
Ich habe mich als erstes krank schreiben lassen. Ich habe kurz vor der Diagnose meine Arbeit verloren (im Nachhinein gesehen, kommt dass auch auf die Rechnung von MSA) es hatte mir nicht sehr gestört, denn es war sehr stressig, und ich wollte mir eh etwas ruhigeres suchen. Was auch immer der Fall ist, sich krank schreiben sollte schon der Fall sein, denn all diese Belastung und noch arbeiten gehen – das ist fast unmöglich.
Ich habe mich viel im Internet informiert, auch Rat und Anschluss gesucht, vor allem wollte ich einen Patienten finden der diese Krankheit besiegt hat, was aber leider nicht passierte. Aber ich habe viel anderes gefunden. Ich habe auf diesem Wege Marion kennen gelernt und ich habe mich endlich nicht allein gefühlt. Wir haben uns ausgiebig ausgetauscht und sie war mir auch ein großer Trost.
Ich hatte keine Ahnung gehabt, was zu tun ist. Meine Empfehlungen (ich habe Erfahrungen gesammelt):
- Trete einem Sozialverband bei (etwa 5 Euro Mitgliedschaftsbeitrag im Monat). Die wird Dich vertreten und helfen wenn Du mit unterschiedlichen Organisationen zu tun haben wirst. Und das wirst du.
- Beantrage sofort einen Schwerbehindertenausweiss. Ab dem Tag wo du es beantragst, wirst du die Vorteile nützen können. Die kann man auch online beantragen, man muss dazu etwas googeln. Im Bayern sind das die Versorgungsämter.
Lass dich nicht mit etwas abspeisen, unter 50% schon mal gar nicht, lege Widerspruch ein (da wird ein Sozialverband nützlich). Die haben mir z.B. erst 40% bewilligt, was total an Realität vorbei ist.
Falls du auf einen Schwerbehindertenparkplatz spekulierst, die bekommst nur mit dem Merkzeichen aG im Schwerbehindertenausweis – was du so gut wie nicht kriegen wirst. Ich habe einen Attest von meiner Ärztin, es nützt nichts. So lange du gehen kannst, deinen Augenlicht und beide Beine hast, wirst du es nicht kriegen, egal wie oft du auf der Straße hinfällst und egal wie schwer du an Inkontinenz leidest. - Beantrage eine Pflegestufe bei deiner Krankenkasse, mach dich aber vorher Schlau.
https://service.pflege.de/pflegegradrechner
Da hilft auch ein Sozialverband.
Dazu schickt die Krankenkasse den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) zu dir nach Hause. Ich glaube die verdienen an jedem abgelehnten Fall. Keine falsche Ehrgeiz oder Stolz, Pflegestufe 1 zu bekommen ist schon was. Ich habe z.B beim ersten Besuch Null Punkte bekommen, beim zweiten Versuch (Widerspruch) 4 oder 5 Punkte (für Pflegestufe 1 sind schonmal etwas über 10 notwendig). Ich hätte danach klagen können beim Sozialgericht, wozu mir schlicht die Energie gefehlt hat. Dass ich Stützstrümpfe ohne Hilfe nicht anziehen kann, Fenster nicht putzen kann, im Bad Schwierigkeiten habe, alles gehört da rein. Und, die interessiert nicht was morgen sein kann, die interessiert nur was jetzt im Moment ist.
Eine Pflegestufe bedeutet finanzielle und/oder praktische Hilfe. - Für alle die allein leben: beantrage Hausnotruf. Bei den Johannitern oder Malteser oder ähnliches. Bei Sturzgefahr ist es ein gutes Gefühl „nicht allein zu sein“ und es fördert das Mobilität, da man sich mehr zutraut. Und, bei einer bewilligten Pflegestufe, übernimmt die Krankenkasse die Kosten.
- Holt Euch einen Euroschlüssel für Behindertentoiletten (ein Schwerbehindertenausweis ist Voraussetzung). Mit dieser Schlüssel könnt ihr Deutschlandweit die Toiletten aufsperren. Es gibt auch ein App dazu, die alle Schwerbehindertentoiletten in der Nähe zeigt. Mit GPS, also Internet ist nicht notwendig.
https://www.handicapx.com/handicapx-app-barrierefreier-lifestyle/
Für alle mit Inkontinenzthemen wichtig! Kosten für die Schlüssel 23 Euro.
https://cbf-da.de/de/shop/euro-wc-schluessel/ - Reha. Es wird auf Rente hinauslaufen. Das ist ein Broken zu schlucken, ist aber so. Es macht Sinn die Reha hinauszuzögern, Krankengeld gibt es eineinhalb Jahre, und es ist in der Regel mehr als die Rente. So lange ihr krankgeschrieben seids läuft auch euer Zeit in die Rentenkasse. Aber Obacht, der Bund kann/wird Euch rückwirkend berenten, also zu der Zeitpunkt wo ihr krankgeschrieben wurdet.
Bevor ihr Rente beantragen könnt, musst ihr eine Reha machen (in meinem Fall sind es bewilligte 4 Wochen, plus hier in der Reha haben die Ärzte noch eine Woche draufgeschlagen, Marion war 8 Wochen!).
In der Reha gibt es sowas wie „Berufstherapie“, das ist hart, denn euch wird aufgezeigt was ihr nicht könnt. Es erfolgt dann auch ein Test, mit deren Hilfe die Ärzte begründen können warum ihr berentet werden solltet. Der Bund würde euch natürlich arbeiten schicken. Ich habe bei meiner Diagnose noch gearbeitet (vor etwa ca. einem Jahr), aber in einem Jahr habe ich soviel abgebaut, dass arbeiten gehen schier unmöglich ist.
Was ich (noch) nicht weiss, wie oft man eine Reha machen darf. In meinem Fall ist es schwierig zu sagen was es bringt, da ich auch zuhause viel mache, aber es bringt schon etwas. Was ihr allerdings machen könnt/sollt ist eine Komplextherapie (in der Regel darf man 2x im Jahr machen), was viele Krankenhäuser anbieten und es geht 2-3 Wochen (nennt man es „Kleine Reha“ auch), das Programm ist eher an Parkinson ausgelegt, aber man bekommt eine individuelle Betreuung.
Das ganze Thema Reha ist ein Riesen Papierberg. - Beantragt, wenn notwendig psychologische Hilfe. Ich habe meinen Hausarzt um Hilfe gebeten. Da gibt es ein Dienst, die weiterhilft (er hat mir eine Telefonnummer gegeben, die man anrufen kann, und es werden dort einem 3 freie Psychologen vermittelt, man kann dann aussuchen, wer am besten zusagt). Es kann aber auch dauern. Wenn ihr akut Hilfe braucht – was niemanden wundern würde – wendet Euch auch an Euer Arzt.
- Bereitet Euch vor, medizinisches Personal, zum Teil Ärzte, aufzuklären, aber auch Eure Angehörige, denn diese Krankheit ist sehr selten.
- Kümmert Euch um euren Patientenverfügung und die Zukunft. Keine einfache Thema, Euer Hausarzt und die Person Eures Vertrauens werden euch helfen.
- Macht viel Sport, Bewegung, redet viel. Bleibt aktiv und traut Euch was zu. Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie sind obligatorisch.
Wenn Euch etwas nützliches einfällt, schreibt Ihr gerne in das Kommentarfeld.
Jetzt, einige Monate später, sehe ich, dass das Leben trotz allem weitergeht, und ich kämpfe weiter – wobei ich mich in den ersten zwei Monaten gefragt habe, wozu? Damit das Elend länger dauert? Es passiert in der Forschung viel zurzeit, wer weiss, vielleicht erleben wir die helfende Medizin. Und dann wollen wir noch in guter Form sein, nicht wahr? Und erwartet nicht, was prognostiziert wird, die meisten Ärzte stochern auch nur rum. Ich habe milerweilen eine Menge Patienten kennengelernt die die 10 Jahre Überlebensprognose bei weitem überschritten haben und nicht im Rollstuhl sitzen oder künstlich ernährt werden.
– wenn ihr zB unter einer Blasenschwäche/Inkontinenz leidet, steht Euch ein „pflegeset“ zu! Bestehend aus Handschuhen, Bettunterlagen, Desinfektionsmittel ect im Wert von 40 Euro
– Inkontinenzmaterial, kann verordnet werden, ihr bekommt vomSanitätshaus ein probenpaketzu geschickt
– denkt daran Verhinderungspflege zu beantragen, damit eure lieben mal durchschnaufen können
– beantragt bei der Krankenkasse: Befreiung der Zuzahlungen
– informiert Euch, ob Euch landespflegegeld zusteht
– wenn ihr L-Dopa nehmt, nicht zu den Mahlzeiten schlucken, das Eiweiß in der Nahrung setzt. die Wirksamkeit herab
– einfache Handgriffe für die Dusche gibt es zB bei Amazon für 15 Euro. Steuerlich absetzbar ( wenn man dann mal die zumubar.e Belastungsgrenze überschritten hat
-die Krankenkasse zahlt ab dem Rentenbescheid kein Krankengeld mehr! Es kann jedoch sein, das der Bund erst nach 3 Monaten zählt, bereite dich und dein Konto darauf vor.
– Nahrungsergänzungsmittel, Fahrten zu Therapien, Inkontinenzprodukte ( sofern nicht von der Krankenkasse/Pflegekasse bezahlt uvm sind steuerlich absetzbar
Es gibt auch ein Beitrag von Marion zu Reha, Formular G0512 unbedingt ausfüllen!
http://www.leben-mit-msa.de/8-wochen-reha-ein-resuemee/
Gerade wo ich im freien Fall bin, habe ich mich an eure Seite geklammert. Ich lese seit Zwei Tagen mich durch und quer (meine Wortfindung, mein Cortex ist wieder im Eimer).
Dankbarkeit strömt aus meinen Augen, ich könnte den Fontana di Trevi Konkurrenz machen, was ihr mit Marion hier leistet.. es ist so wertvoll…
Ich wollte noch auf ein technisches Detail aufmerksam machen, wegen der Erwerbsminderungs Rente, die 3 Jahre Pflichtbeitrags Zeit in den letzen 5 Jahren die man erfüllen muss. Ich befürchte die Zeit wo man Krankengeld bevor der Rente bekommt, werden da nicht berechnet. Nach meiner Diagnose bin ich jetzt deswegen mit dem Gedanken erst mal ALG 1 zu beziehen, ich schaffe es nicht weitere 6 Monate zu arbeiten (habe 2,5 Jahre in den letzen 5 Jahren gearbeitet).
Es gibt so viele Details die man bedenken muss, aber der Blog bietet schon enorm viel Boden. So dankbar…
Vielen Dank Can, ja du hast Recht, wir versuchen uns auch durch die Bürokratie-Wüste durchackern. Es gibt auch viele Stolperfallen… finde ich sooo schlimm, als hätte man ohnehin nicht genug Probleme. Dir alles Gute, halt die Ohren steif!
Hallo Can, vielen Dank für deine lieben Worte. Ich wünsche dir entspannte Weihnachten ? und alles Gute!