Ich habe mich jetzt wieder länger nicht gemeldet. Bin mit Einrichten meiner neuen Wohnung, meines neuen Lebens beschäftigt. Und ich hätte gerne mich auf das alte Level traniert – was sich leider schwierig darstellt. Laut meiner Studienärztin habe ich mich nicht groß verändert, ich nehme aber Veränderung wahr. Vor allem Gleichgewicht und Sprache. Jetzt habe ich mir einen neuen Rollator gekauft, die üblichen sind mir zu leicht und zu labil. Damit ich hier problemlos rauskomme. Das Ding heisst Veloped Sport, Wiesen, Kopfsteinpflaster und Gelände sind kein Problem. Nach ein paar Wochen kann ich mehr dazu sagen.
Die letzten Tage haben mir auch klar gemacht, dass ich „wirklich ernsthaft“ krank bin. Ganz oft sagt mein Kopf „kein Problem“ und dann macht mein Körper durch mein Vorhaben einen Strich. Immer wieder mache ich die Erfahrung dass das Körperliche eine Sache zu bewältigen ist, aber das ganze psychisch zu verkraften, ist ein richtig heftige Aufgabe, und es ist entscheidend für die allgemeine Verfassung. Es reicht nicht nur „die Krankheit zu realisieren“ als Aufgabe, aber es anzunehmen, verstehen dass es nicht weggeht und diese Ungewissheit, was die Zukunft bringt, ist schlimm.
Wenn ich nicht bereits gelähmt gewesen wäre, als ich im Dezember 2018 die Diagnose erhielt, hätte mich das zweifellos umgehauen. Stattdessen ließ das Gesagte mich atemlos zurück – erstickend unter der Last der Ungewissheit über meine Zukunft. Werde ich laufen vergessen, sprechen vergessen, meine Letzten Tage unfähig zur Bewegen in Windeln verbringen? Würde ich für immer an einen Katheter gekettet sein? Würden mich Schmerzen plagen? Außerdem die Frage „was wäre, wenn“ bedrängte mich und machte es mir unmöglich, einen Weg nach vorne zu sehen.
Es war schmerzhaft, sowohl emotional als auch körperlich. Emotional kämpfte ich damit (und tue ich immer noch), dass ich nicht mehr in der Lage war, all das zu tun, was ich früher mit Leichtigkeit getan hatte. Was mir Spaß machte, was mich erfüllte, was mich ausmachte. Körperlich fühlte ich mich kaputt und krank, als ich versuchte, das Leben zu leben, das ich vorher hatte. Es funktionierte nicht: mein Körper hat mich verraten, er spielt nicht mit.
Wie konnte ich in meinem Entschlossenheit, ein glückliches Leben zu führen, „erfolgreich“ zu sein, mit den Einschränkungen von jetzt in Einklang bringen, die mir nun aufgezwungen worden waren? Ich habe das neue „ich“ verabscheut, ich fühlte mich hässlich und peinlich. Das tue ich manchmal immer noch, da komme ich nicht drum rum.
Es hat lange gedauert, bis ich es realisiert habe. Ich kann nicht mehr alles tun, was ich vorher getan hatte, zumindest nicht, ohne dass es mich krank und traurig machte, dass ich die Messlatte, die ich mir selbst gesetzt hatte, niemals erreichen werde. Aber das brachte mich in eine noch größere Zwickmühle: Ich wollte nicht aufgeben. Ich meine, mir wurde gesagt, ich solle „dagegen ankämpfen“, sowohl von mir selbst als auch von anderen.
Meine Sturheit und meine verbissene Entschlossenheit, so zu leben, wie ich es früher getan hatte, war ein Kampf gegen meine Krankheit. Und es war einer, den ich jeden Tag verlor. Indem ich hinter mich blickte, mein Blick auf den Weg fixiert, den ich zuvor gegangen war.
Und doch kämpfte ich weiter, obwohl ich wusste, dass es nicht nur aussichtslos, sondern auch schädlich war. Er schadete meinem Körper, meinem Geist. Trotzdem machte ich weiter. Ich tat es, weil ich das Gefühl hatte, dass das Akzeptieren meiner Situation ein Aufgeben wäre. Dass ich, indem ich mein Leben an meine Krankheit anpasste, würde ihr den Sieg schenken. Es war eine ständige, vergebliche Kampf, der mich immer wieder verlieren ließ.
Also ändere ich nun meine Denkweise: Anstatt für mein altes Leben zu kämpfen, begann ich, für mein „bestes Leben“ zu kämpfen. Und das kann ich nur tun, indem ich akzeptiere, wie die Dinge um mich sind, indem ich die Ressourcen ergreife die mir in diesem Moment zur Verfügung stehen, indem ich akzeptiere, dass sich die Dinge verändert hatten. Indem ich akzeptierte, dass ich mich verändert hatte.
Erst als ich aufhörte zu kämpfen, mich in einen Jeans zu zwängen, der nicht mehr passte – erst als ich akzeptierte, dass ich mein „bestes Leben“ anders leben musste, um es überhaupt zu leben -, begann sich ein Weg nach vorne zu zeigen. Akzeptanz ist nicht Nachgeben. Akzeptanz bedeutet, mein Leben so anzupassen, dass ich das Beste daraus machen kann, um mir die Freiheit zu geben, der Mensch zu sein, der ich so verzweifelt sein will.
Trotzdem ist, mein altes Leben ist etwas wertvolles für mich, dass ich verloren habe. Daran wird sich nie was ändern. Aber ich habe jetzt nun diese Voraussetzungen, und alles andere als das beste daraus machen, wäre nicht ich.