Ich weiss dass vielen die Haare zur Berge stehen von der Idee, mit Multisystematrophie auf ein Konzert zu gehen, mit mehreren Tausend anderen – vor allem nicht auf ein Konzert von Lindemann, der eh als Provokateur bekannt ist. Und dieses Mal hat er seinen Namen Ehre gemacht und nichts rausgelassen, der Konzert war ab 18 Jahren und das berechtigt – wobei ich denke die Kinder finden das alles, und noch schlimmere Sachen im Internet.
Nun, das ganze erinnert mich an ein Buch, wo es so in den ersten 50 Seiten um trockene und unverständliche Dinge ging, dann meinte der Schriftsteller „Jetzt wo Du immer noch dabei bist, und wenn Du immer noch nicht Haare raufend weggelaufen bist, dann fangen wir mal an…“ Das was dort, und sonst in den Medien gezeigt wurde, muss erstmal verdaut, verstanden und akzeptiert werden, das wird die Fans jetzt ausjäten.
Also, ich habe mich immerhin gefreut dass ich Karten bekommen habe, denn die waren in weniger als eine Minute ausverkauft.
Ich habe erst garnicht daran gedacht, aber ich habe das erste mal meinen Schwerbehidertenausweiss benutzt und einen Begleiter mitgenommen. Das war eine Freundin von Freundin die keine Karte gekriegt hat, und sich sehr gefreut hat. Ich habe mich auch gefreut, mal jemanden glücklich zu machen.
Also, ohne Aufregung ist es natürlich nicht verlaufen. Ich habe mir sehr viel Kopf gemacht, ob das machbar ist. Ich habe mit dem Veranstalter gemailt. Es war keine bestuhlte Veranstaltung, ich käme aber mit einem Rollator rein – hiess es. Obwohl es keinen separaten Eingang gibt für Behinderte Personen.
Ich habe letztes Jahr schon einen Carbon-Rollator gekauft, extra für diesen Anlass. Die Krankenkasse will einen aus Eisen auf Rezept geben, der Tonnenschwer und so „Omalike“ ist. Wenn man das nicht mag, muss man selber kaufen. Stundenlang auf dem selben Fleck stehen, würde ich nicht aushalten, ich brauche also einen, allein um mich hinzusetzen.
Dann wurde ich von der Freundin abgeholt. Zuhause noch einmal aufm Klo, „kurz noch zur meiner Blase gebetet“, und los. Dort angekommen, und irgendwo ganz hinten geparkt – wir wurden gelotst, man konnte sich nicht währen und parken wo man will. Da stand schon eine riesige Menschenschlage an. Der Parkplatz war eine Baustelle, auf Schotter, mit riesigen Schlaglöchern, unbeleuchtet. Also das „richtige“ um mein Leben mit einem Rollator zu erschweren. Zusätzlich hat es auch angefangen zu nieseln. Also bescheidene Voraussetzungen, und das alles Abends nach 18 Uhr, was sowieso nicht meine beste Zeit ist.
Wir haben „elegant“ die riesige Schlange überholt – niemand hat gemeckert – und haben uns vorne, vor dem Eingang ganz frech angestellt. Ich konnte meinen Begleiter problemlos reinnehmen können. Alles also ziemlich gut gelaufen.
Ich kannte schon die Location, ich war schon mal da (auf Highheels wohl bemerkt) und habe auf einen Platz spekuliert hinter der Toiletten, seitlich, ruhig. Wie praktisch dass es grade dort einen Podest gab für Rollstuhlfahrer, wo wir auch Platz genommen haben, mit einem sehr gutem Blick auf die Bühne. Dann nochmals auf das Klo, unproblematisch, alles. Ich weiss dass nicht trinken nicht gut ist, aber von Trinken muss man ständig pinkeln, und wir wollen die Blase nicht provozieren, also ein Tag wenig trinken wird schon drin sein.
Zwei Vor-Bands haben gespielt und alles hat sich in die Länge gezogen. Die Halle füllte sich weiter. Jetzt die Toiletten aufzusuchen wäre problematisch gewesen.
Dann ging es los. Wie es war, das diskutiere ich nicht hier, für mich war es auf alle Fälle mehr als Wert. Ich war letztes Jahr in Juni auf ein (viel größeres Event, in der Olympiahalle mit 74000 Besuchern), und da war ich schon aufgeregt ob ich es schaffe. Seit dem habe ich zwei weitere Konzerte geschafft. Also es geht. Natürlich ohne meine Freundinnen wäre es kaum machbar. Es war so gut sich wieder lebendig zu fühlen! Und so ein Event gibt aufs neue viel Kraft, aus diesem „MSA-Koma“ rauszukommen. Vieles ist natürlich nicht so wie es mal war, aber es ist machbar, ich lebe mein Leben und tue Dinge die mir Spaß machen und nicht „weil es sich so gehört“ oder „weil die Gesellschaft das für Üblich hält“.
Am Ende des Konzerts haben wir gewartet bis der Riesenansturm weg ist, und Richtung Ausgang losgelaufen. Meine Blase war toll, ich war stolz auf ihn!
Draussen haben wir dann ein bisschen rumgeirrt und gefroren im Wind, Kälte und Nieselregen. Aber alles in allem war es die Anstrengung Wert. Ich bin natürlich aus meiner „Sicherheitszone“ raus, mein Arzt würde sicherlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen aber wen interessierts? Sterbe ich jetzt deswegen zwei Tage früher? Das schlimme wäre gewesen, wenn ich dort gestürzt wäre, aber meine Freundinnen passen schon auf mich auf.
Das nächste Konzert ist für Juni geplant, in Berlin, wieder Stadion, also Treppenalarm. Das ist das nächste Ziel.
Danke Mädels für die Unterstützung und für das Dasein!