Heimat

Zum Jahresende habe ich meinen Vater besucht. Fahrt bis zu Budapest (diejenige die es nicht wissen, ich bin gebürtige Ungarin) mit dem Flixbus (Nachts) und dann mit meinem Neffen weiter mit dem Auto. Es ist noch gegangen mit dem Bus, mit Ach und Krach. Ich war schon sehr erschöpft am Ende, allerdings ich bin gut im „Arschbacken zusammen kneifen“. Vorher habe ich natürlich mit Schmerzmittel gedopt, und eine lästige Lendenwirbelsäulen-Attacke kam noch rein.

Mein Vater ist über 80, selber schwer krank, Asthma und noch einiges. Er weiss zwar dass ich „was habe“ aber er kennt eine „milde“ Version – was will ich einen alten, kranken Mann noch mehr kränken. Er macht sich so schon genug Sorgen, und hofft er, dass ich bald ins Krankenhaus gehe und das „Zaubermittel“ bekomme, das alles wieder gut macht. Er soll doch diese Hoffnung haben. Wobei ich mir schon Sorgen mache, wie lange ich noch dieses Schauspiel aufrechterhalten kann, denn eines Tages wird er selber merken. Und wer weiss wie lange ich ihn noch besuchen kann.

Ich habe  diesmal ein Geschmack davon bekommen, wie es ist, von anderen abhängig zu sein. Ich fahre selber kein Autobahn mehr, früher habe ich die 1000 km problemlos mit meinem BMW runtergerissen, jetzt geht das nicht mehr. Mein Neffe hat mich zwar ohne Widerworte überall hingefahren, und ich hatte die Unterstützung von Freunden auch, aber darum bitten von A nach B gefahren zu werden, muss ich noch lernen. Früher habe ich mich einfach in mein Auto gesessen und spontan irgendwo hingefahren. So ist es nicht mehr. Alles muss man planen… nix spontan.

Vor meiner Familie und Freunden versuche ich, die beste Version von mir zu zeigen, um die zu schützen und um die nicht zu überfordern oder zu erschrecken. Jeder geht damit anders um. Manche reden darüber, stellen Fragen, manche schweigen höflich und sind auf abstand, behandeln mich wie einen sterbenden oder tun so als ob nichts wäre weil die selber überfordert sind, es ist auch eine Frage der Mentalität.

Noch vor zwei Jahren kam ich immer zur Weihnachten und habe für meinen Vater traditionell gekocht. Damit ist jetzt schluss. Wir kamen auch zur Weihnachten zurück (also nach Hause), mein Neffe will natürlich die Feiertage mit seiner Freundin verbringen. So, war es ein kurzer Ausflug, aber immerhin habe ich meine Leute gesehen.

Ich habe meine Mutter am Friedhof besucht (sie ist 2012 gestorben, genau am Heiligabend, am Lungenkrebs), wir hatten aber immer schon ein schwieriges Verhältnis. Ich habe sie nur am Friedhof gefragt, warum sie mich nicht „ordentlich und fehlerfrei“ gemacht hat…. 

Ich mit 2 Jahren – war da noch alles in Ordnung?

Der letzter Tag war dann doch emotional, da kamen viele Sachen hoch. Zu sehen wo ich einst als Kind gesprungen habe, Schlittschuh gefahren bin, Fahrrad fahren gelernt habe, zur Schule gegangen bin… Alles wie in einem anderen Leben. Der Abschied von meinem Vater und von meinem Geburtsort, fiel dann doch schwer. Wie und wann kann ich wieder hier her, und ob ich das kann? Was wird nächstes Weihnachten sein? Diese Ungewissheit macht fertig, dass die Zukunft so fraglich ist.

Und die ganze Zeit die Frage: wann hat es begonnen und warum? Um mit einem Songtext zu sagen:

„Vergessen alle Tage, vergessen jede Nacht
Wo bin ich gewesen? Was hab‘ ich gemacht?
Wie hat das begonnen? Wann fing das an?
Wo bin ich gewesen? Was hab‘ ich getan?“

Alles in allem geht es mir noch „gut“, es ist nur schwer einen Mittelweg zwischen Optimismus und Realismus einzuschlagen. Auch wenn ich weiss, dass es nie so sein wird, wie es mal war, ich konzentriere mich nicht an das, was prognostiziert wird und trotze der Entwicklung so gut ich kann. 

Kleiner Schritt vorwärts: ich habe am Weihnachten meine Freundin und ihre Familie besucht, und bin mit dem Auto, inklusive Autobahn hingefahren. Also geht doch. Und mein nächster Besuch in der Heimat, plane ich auch mit dem Bus runter, und dann dort einen Auto mieten. So.

Schwer ist das alles allemal. Den Ort zu sehen, wo man aufgewachsen ist, die Familie… jetzt habe ich ein Bild davon, wie es für Menschen sein muss, die ihre Heimat und Familie hier haben – ich kann mich immerhin verstecken. Dafür habe ich kaum die Unterstützung und den Trost von meinen Leuten, ist aber so lange ich für mich sorgen kann, auch okay. Das alles zu sehen, macht melancholisch, traurig. Immer wieder stelle ich fest, dass das alles psychisch zu packen, viel schwerer ist, als ich dachte. Um wieder mit einem Songtext auszudrücken:

„Wer weiß das schon?
Mein Herz auf und davon,
Ich liebe das Leben,
Das Leben liebt mich nicht,
Es tritt mich mit Füßen,
Und schlägt mir ins Gesicht.
Ich liebe die Sonne,
Die Sonne liebt mich nicht,
Verbrennt mir die Seele,
Der Tag ohne Licht.“

Allerdings, nur besondere Menschen bekommen schwere Wege – wenn das tröstet. Und jetzt an Feiertagen und am Jahresende dürfen wir melancholisch sein. Resignieren kann jeder, also Krone zurecht rücken, aufstehen und weitergehen…

Allen Frohe Weihnachten und das beste für das Neue Jahr!

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