Das neue Leben

Meine Diagnose ist jetzt einige Monate über einen Jahr her und vieles ist in „Gewohnheit“ übergegangen. Nach der Diagnose war ich etwa drei Monate in Schock, schlecht gegessen, schlecht geschlafen, den ganzen Tag im Bett verbracht und geheult, ununterbrochen, jeden Tag. 

Ich glaube, wenn einem nichts anderes übrig bleibt, dann nimmt man es an, das Leben muss ja bekanntlich weitergehen. Gewöhnen tut man sich nie dran, ich würde nicht sagen dass es leichter wird, garnicht. Man gewöhnt sich an Schwindel, Gehhilfe, schlechtes Reden, schlechte Energie, – dass man nicht Arbeiten geht, dass man nicht wirklich was zu diesem Gesellschaft beiträgt, etc. Und das problematische ist, das sich diese Zustand einem keine Gelegenheit gibt, sich daran zu gewöhnen, sich damit abzufinden,  es schreitet voran und verändert sich ständig, leise und heimtückisch. Wenn das alles so bleiben würde, könnte man sich damit organisieren. Mit MSA wache ich morgens auf und frage mich ob sich was verändert hat. Und nichtmal kann ich das einfach  beurteilen, vieles ist tagesabhängig, vieles wird Tagsüber besser, und je später der Tag wird, so wird es wieder schlechter.

Ich stumpfe vielem gegenüber ab, und werde stoisch in den Handlungen die einfach erledigt werden möchten. Ich versuche in schmerzhafte Dinge nicht reinzudenken. Ich schalte den Fernsehen um wenn es um Dinge geht wie um Menschen, die einfach ihr Leben leben. Urlaube planen, Klamotten kaufen – mir ist es fast egal wie ich aussehe, im Gegensatz zur Früher, wo ich viel Wert an Erscheinungsbild gelegt habe. Ich habe neulich einen Newsletter bekommen wo es darum ging wie man Bewerbungsgespräche meistert, mit der Frage „Wo sehe ich mich in drei Jahren“. Will ich das wissen was in drei Jahren sein wird? Newsletterabo gelöscht. Aber es ist unglaublich, ein halbes Jahr vor meiner Diagnose, habe ich noch einen Weiterbildungskurs gemacht, wollte weniger arbeiten für mehr Geld. Ich kann meinen Zertifikat in die Haare schmieren jetzt. Ich will nicht gleichaltrige sehen wie sie einen Bergtour planen, Sport treiben, das Haus dekorieren oder Garten pflanzen. Einfache Belanglosigkeiten regen mich auf bzw. ich schaue dann lieber weg. Neulich habe ich im Fernsehen eine beliebte Sendung gesehen, wo es darum geht das beste Menü herzustellen und die anderen Teilnehmer beeindruckend zu bekochen. Da kaufen die Teilnehmer die besten Zutaten. Und ich denke; die Probleme möchte ich auch haben. Oder, auf dem Weg in die Stadt, sehe ich Menschen auf dem Fahrrad, Frauen in hohen Schuhen, Menschen die schnell vor einem Auto die Strasse überqueren. Früher habe ich darüber heulen können, jetzt schlucke ich nur und schaue weg. 

Ich will vieles nicht sehen, vieles nicht wissen. Ich will auch nicht wissen ob mein Ex heute eine andere hat und was die anstellen. Ich wünsche ihn alles Gute, ich wünsche allen das beste, ich will nur nichts davon wissen und sehen.

Also bleibt die Frage, ob es mit der Zeit besser oder leichter wird. Für mich kann ich sagen – NEIN. Es wird anders, man wird „stiller“. Ich kann nicht sagen „trauriger“, ich würde sagen man wird „heldenhafter“, man kämpft, auch wenn das ziemlich viel Kampf ist für ein wenig Leben. Ich nehme an was ist, WEIL ich keine andere Möglichkeit, keine andere Wahl habe. Natürlich, gibt es Momente der Schwäche und Wut, wo ich alles nur ungerecht finde, meinem Leben hinterher traue. Ich versuche dies zu vermeiden, weil  es mich aufwühlt, vom Heulen kriege ich Kopfweh, als ob ich schon nicht genug Probleme hätte. Alte Bilder ansehen oder ein Musikstück reichen manchmal aus. 

Und ich habe dann doch noch die Hoffnung, auch wenn ich vieles nüchtern und Rational sehe. Ich weiss nicht wie man das alles reparieren könnte, was in meinem Kopf kaputt ist, aber ich habe die Hoffnung noch. Ich denke, das ist Human. Es ist so schön auszumalen, was ich tun würde, wenn ich durch einen Wunder wieder heil wäre. Das ist ein bisschen so, wie ausmalen, was ich mit unendlich viel Geld machen würde, wenn ich im Lotto gewinnen würde.

So lebe ich mein Leben, improvisiere um alltägliches möglich zu machen, lasse Gegenstände fallen und fluche, laufe gegen die Wand und haue meine Zehen an und schrei auf vor Schmerz, aber egal, weiter machen. Wie der Spruch es sagt; aufstehen, Krone richten und weitergehen.

4 Antworten auf „Das neue Leben“

  1. Hey Marta,
    Du scheibst mir aus derSeele.
    Mir geht es auch so.
    Zu kämpfen obwohl man nicht gewinnen kann ist unheimlich hart, mühevoll und aufreibend.
    Der Weg ist das Ziel.
    Der Kampf ist das Leben.
    Ich habe Roadmovies so geliebt.

    hang loose
    ride on
    Axel

  2. Liebe Marta,
    Du hast wieder einmal alles auf den Punkt getroffen. Man könnte meinen, du hättest meine Gedanken gelesen. Ich brauche den Eintrag nur noch meinem Mann zu lesen zu geben: als hätte ich das geschrieben.

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