Fahren oder nicht fahren

Dritte Woche in der Isolation. Da lobe ich mein soziales Inkontinenz, aber so langsam fällt mir die Decke auch auf dem Kopf. Das hat nur zum Teil  mit diesem Virus zu tun,  hauptsächlich hat das mit MSA zu tun. Für einen selbstständigen Menschen wie mich, fällt es schwer, über jeden Schritt nachzudenken und es zu planen. Einfach ins Auto steigen und spontan an den See fahren wie einst, ist jetzt nicht mehr möglich.

Das höchste ist jetzt, in den Wald zu fahren, und meine Runde zu drehen an den frischen Luft, mit Nordic Walking Stöcken, was jetzt auch immer schwieriger wird. Erstens, durch diese blöde Virus ist  jetzt die halbe Stadt dort, wo früher niemand war, gehen Menschen mit ihren Hunden und Kinder spazieren. Könnte mir egal sein, allerdings die werden denken „Wie kann man an einem Dienstag Mittag so betrunken sein“.
Vor kurzem lief das Laufen an den Stöcken noch ziemlich unkompliziert, das ist nicht mehr so. Gradeaus gehen und zur Seite schauen, geht überhaupt nicht mehr. Ich bemühe mich geradeaus zu schauen und nicht auf die Füße, um die typische MSA-Nacken zu vermeiden.

Und da haben wir es schon – fahren. Im Februar war ich in der Krankenhaus, in dem Ambulanz für Bewegungsstörungen, und seit dem habe ich das in meiner Akte. Mir wird ärztlich von Fahren abgeraten. 

Das muss erst geschluckt werden.

Und das ich, die drei-vier mal im Jahr 1000 km gefahren ist – meine Familie besuchen in Ungarn – wobei mich niemand auf der Autobahn überholt hat. Ich habe wegen Schnellfahren so einige Strafzettel eingehandelt. Ich bin täglich 100 km in die Arbeit gefahren. Und jetzt?
Deprimierend ist das. Erstmal von meinem BMW auf ein Smart downgraden und dann das.

Natürlich kann ich weiter fahren, allerdings wenn jetzt was passieren würde, die Versicherung würde einen Strick daraus drehen.

Ich habe vor einem Jahr schon aufgehört Autobahn und längere Strecken zu fahren, weil ich gemerkt habe dass ich Schwierigkeiten habe. Ich habe keine Probleme mit den Augen, nicht mit den Reflexen. Ich habe Probleme mit Abbiegen (vor allem abbiegen nach rechts). Ich fahre 90% mit der linken Hand, da ich mich damit sicherer fühle. Und ich habe Probleme bei hohen Geschwindigkeiten die Abstände seitlich abzuschätzen – darum fahre ich nicht schneller als 100 kmh. Schwache Feinmotorik.
Diese Dinge basieren auf mein eigenes Empfinden allein. Ich möchte mich selbst, und vor allem andere, nicht gefährden, und darum lass ich das. Und nun soll ich im Ort nichtmal mehr zur Logopädie, zum Wald oder zum Supermarkt – wenn ich überhaupt rausdarf und wenn ich überhaupt gehen kann.

Natürlich stellt sich für mich die Frage, macht das Sinn? Diese Krankheit ist leider nicht so, dass man das pauschal sagen kann, ab wann ist es gefährlich zu fahren. Ich kenne viele  MSA-P-Patienten, die damit überhaupt keine Probleme haben. Ich kenne andere MSA-C-Patienten auch (wie ich es bin) die nach Jahren souverän fahren. Bei mir war es  einer meiner ersten Symptomen, ich bin auch eher Ataxia-Betroffen. Es ist jedoch so, dass ich mich bei Autofahren immer noch sicherer fühle, als beim Bus oder Ubahn-Fahren.
Ich sehe zwar die Einschränkung ein, ich bin aber der Meinung, bei MSA-Patienten kann man es nicht einfach so sagen, damit der Arzt aus dem Schneider ist. Ich verzichte prophylaktisch auf 10cm Abstände zu anderen oder Rückwärtseinparken (worin ich früher sehr gut war) – nicht weil ich denke, ich könne es nicht – ich will es nicht herausfordern.
Ich finde das ist eine schwere Einbruch in die sowieso schon bröckelige Selbstständigkeit.
Mir wurde zB. veranschaulicht was das bedeuten würde Gaspedal und Bremse zu verwechseln  (wegen Ataxia in den Beinen). Erstens, ich merke in den Beinen überhaupt keine Einschränkung – wenn ich Einschränkungen merke, dann in den Händen, aber darüber wurde nicht geredet – und zweitens, ich habe extra deswegen einen Automatikgetriebe angeschafft. 

Ich merke, wenn ich es nicht praktiziere, werde ich es bald verlernen – nach dem Prinzip „use it or loose it“. 

Wie ihr damit umgeht, bleibt jedem selbst überlassen. Gefährdet aber nicht euch selbst oder andere. Ich werde bei ADAC oder TÜV eine Eignungsprüfung machen, so ist man auf alle Fälle Versicherungstechnisch auf der sicheren Seite. Was allerdings Fakt ist, dass diese erbärmliche Krankheit eins nach dem anderen alles wegnimmt.

Und jetzt kommt es, der Merkzeichen aG in dem Schwerbehindertenausweiss wurde wiederholt abgelehnt. Nur mit diesem Kennzeichen habe ich Chance auf einen Behindertenparkplatz, was für mich relevant ist – wenn ich fahren kann sowieso, wenn nicht dann aber auch, weil ich nicht unendlich durch die Gegend spazieren kann. Also was? Zum Fahren bin ich zu krank aber für eine Parkerleichterung zu gesund?

Neben all diese „Kleinigkeiten“ warte ich weiter auf meinem Umzug und lebe aus Kartons. Meinen Alltag balanciere ich um diesen Virus. Meide  rauszugehen, das einzige was mir bleibt, allein in den Wald zu gehen. Mein Gleichgewicht ist merklich schlechter geworden, aber ich meine ein wenig Verbesserung zu merken. Placebo?

Diese Virus macht alles komplizierter und schwieriger. Da tritt meine Krankheit in den Hintergrund – was mal nicht schlecht ist, da dreht sich sonst alles darum…
Da ich Bekannte habe in Ungarn, Serbien, Kroatien, Spanien, USA, Brasilien… kriege ich die Hiobsbotschaften mit. Viele verlieren ihre Existenz, Geschäfte gehen kaputt, Jobs werden gekündigt, Miete wird nicht bezahlt. Ich hatte meine Freundin aus Serbien hier, um mir zu helfen bei der Umzug – wir haben sie in der alle letzten Sekunde aus der Land geschafft, jetzt sitzt sie in Ungarn fest und kommt nicht über die Grenze. Und eine Wohnung dort kostet jetzt Unsummen Geld. Weder vorwärts noch rückwärts. Ihr geht das Geld aus, essen sollte man aber trotzdem irgendwie…
Neben all diese beängstigende Tatsachen, bleibt gesund – es wird auch ein „danach“ geben. Für mich ist das alles einfach zu sagen, ich weiss, aber ich kaue an solchen existentiellen Themen schon seit eine Weile… 

Und dabei möchte ich auch die Chance ergreifen allen zu danken, die das Leben am laufen halten. Krankenschwester, Ärzte, KassierInnen, Logistiker, Fahrer, Müllmänner, die uns Internet geben… Durchhalten!

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