Diese Forderung nach Glück und Dankbarkeit nervt

Unzufrieden oder Unglücklich sein ist total verpönt. Negative Gedanken und Gefühle generell. Wir haben mit dem verheerendsten Krankheit zu tun, unser Leben, und oft das Leben unserer Familie ist aus den Fugen, aber weher wir lassen Betrübtheit durchblicken! Wir sind Kämpfer und über jeden Pups dankbar. Dass die Sonne aufgeht und weil die Vögel zwitschern. Uns steht das Wasser bis zum Hals, unsere Prognose ist zum heulen, von uns wird aber erwartet dass wir optimistisch sind bis zum Realitätsverlust, dass wir hoffen, kämpfen und jede auch nochmal so sinnlose Möglichkeit ergreifen, weil wir ja nichts unversucht lassen möchten. Wir geben unmengen Geld, ja, unser letztes Hemd aus, für Zauberärzte und -mittel, wir schlucken schaufelweise Nahrungsergenzungsmittel, ohne zu wissen ob es hilft oder nicht. In unserem Fall ist es natürlich auch schwer zu sagen ob etwas hilft. Wir wissen nicht wie es ohne wäre. Und alle empfehlen etwas, die Nachbarn, Familienmitglieder, Freunde. Die meinen es ja gut, die wollen helfen.

Dabei schimpfen und sauer sein ist so befriedigend. Also für mich. Es ist wissenschaftlich bewiesen dass Schmerzen und Qualen leichter zu ertragen sind, wenn man laut schimpft. Werdende Mütter im Kreißsaal sind aus dem Grund so laut. Die Schmerzen werden durch Schreie und Geschimpfe gelindert. Sogar seelische Schmerzen sind ertragbarer durch wüste Worte.

Wir sind aber auf Dauer ein Sonnenschein, zeigen immer die beste Version von uns. Niemals würden wir zugeben dass wir die Nase voll haben. Wir möchten unsere Angehörige nicht enttäuschen oder verärgern. Immerhin opfern sie sich ganz schön auf für uns. Auch niemanden wollen wir verängstigen. Denn schlecht drauf sein, wäre ein Zeichen dafür dass es uns schlecht geht, und das wäre natürlich ein Grund für Sorge.

Natürlich sind wir schlecht drauf! Was wenn nicht so ein Krankheit wäre kein Grund dafür!

Allerdings alles um uns rum drängt uns, dauernd positiv zu sein. Medien, Werbung, Produkte, Trainer. Gedanke versetzt Berge! Du kannst alles erreichen wenn du daran glaubst und hart kämpfst! Sogar aus Scheitern und Verzweifeln soll man was positives ziehen und lernen. Ich habe vermutlich was falsch gemacht wenn der Erfolg ausbleibt. Das nächste Mal versuche ich es härter. „Raus aus der Negativspirale – 5 Tipps für ein gesundes Mindset und positive Gedanken“. Und die Gedanke wird uns natürlich auch nicht erspart: Ist diese Erkrankung eventuell das Ergebnis negativer Gedanken?

Alles sprüht von positiven Botschaften, Duschgels, Salatsaucen, Tees, Waschmittel heissen schon so. „Sonnige Blumenwiese“-Weichspüler „Innere-Stärke“-Smoothie oder „Glücklichmacher“-Pralinés. Ein soziales Umfeld dass uns aus alle Richtungen anschreit „Sei glücklich, fit, schön und reich“. Ein alternatives Lebensstil gibt es gar nicht. Und wir tun es uns schwer in diesem Milieu unser Platz zu finden. Unser Körper baut ab, nicht mal Beine rasieren oder Haare färben ist drin, unser Existenz verschlechtert sich dauernd, wir müssen jetzt mit einer mickrigen Rente auskommen statt Gehalt. Unsere Psyche wird auf Probe gestellt, statt schicker Zweisitzer, fahren wir jetzt einen Rollstuhl und statt Spitzenwäsche Inkontinenzeinlagen oder einen Katheter.

Die Sozialen Netzwerke sind voll von diesem Terror. Bilder von den Traumurlaub, von dem Gourmet-Essen, der neue-Schrei-Frisur, Designer-Outfit, strahlende Menschen bei Erlernen neuer Hobbys, das erfolgreich bestandene Prüfung, das neue Rennrad, Surfbrett oder Auto. All diese Errungenschaften, die uns nun verwehrt sind, suggerieren uns, wie Richtig Leben gehört.

Viele Therapeuten und Coaches wollen uns beibringen dass unser Leben sich nunmal verändert hat, und wir müssen jetzt das ganze aus einem anderen Winkel betrachten. Um neue Wege und Möglichkeiten zu entdecken. Vielen Dank auch, ich kann Bauchweh nunmal drehen und wenden,  es tut einfach weh, egal wie und woher betrachtet.

So. Ich bin es mir leid. Ich bin es mir leid, und es ist mir zu dämlich, diese ewig lächelnde Maske aufzusetzen. Diese Forderung nach Glück und Dankbarkeit nervt. Etwas zu hassen oder ungerecht zu empfinden heisst ausserdem noch lange nicht, ich würde negativ denken. Ob das Glas nun halbleer oder halbvoll ist, ist egal, für mich fehlt einfach die Hälfte. Egal aus welchen Blickwinkel es man betrachtet. Und wenn ich lauthals schimpfe und traurig bin, heisst auch nicht, ich habe das kämpfen aufgehört. Ich bin einfach nicht dazu geboren, bei dem Wetter in meinen Zimmer eingeschlossen zu werden, sondern um mit dem Fahrrad den See umzurunden. Anderen zu zuschauen erfüllt mich mit Bitterkeit, Traurigkeit, ja mit Neid. Und nein, das ist nicht schön. Oder edel oder eloquent. Ist aber nunmal so. Es heisst ja nicht, ich würde jemanden dies oder das nicht gönnen. Ich gönne es jedem – aber mir auch!

Es ist  nicht einfach für diverse Personen das passende Gemüt zu finden. Am liebsten sind mir die, für die ich es garnicht tun muss. So sind meine Freunde. Die habe ich ja auch selber ausgesucht. Har-har. Für alle anderen gilt der bekannte Spruch „Bevor du dir selber eine Depression diagnostizierst, stelle sicher dass du nicht von Arschlöchern umgeben bist.“

Okay, das war zynischer als ich gedacht habe, ihr wisst aber schon, was ich meine. So, ich verziehe mich jetzt mit hängenden Mundwinkeln. Und ich erwarte nichts von meinen Mitmenschen, keinen „Es wird schon“ (Nein, wird es nicht), ein „Fuck, was für ein scheiss Tag“ reicht vollkommen.

6 Antworten auf „Diese Forderung nach Glück und Dankbarkeit nervt“

  1. Liebe Marta,
    Du sprichst mir aus der Seele! Ich kann beim besten Willen nichts Positives daran finden, das mein Mann totkrank ist, und der Verlauf dieser Krankheit einfach nur grauenvoll ist. Man ist schon als gesunder Mensch nicht alle Tage gut drauf und läuft nur fröhlich lächelnd durch die Welt – also warum glauben Leute, „die es gut mit uns meinen“, uns wertvolle Tipps geben zu müssen, wie die schönen Dinge zu sehen, sich über Kleinigkeiten zu freuen und doch einfach nicht so negativ zu sein…. Ich finde es manchmal unerträglich, und sage das mittlerweile auch jedem der es hören will – oder auch nicht. Wir alle, ob Betroffener oder Angehörige – sind nicht in der Situation auf andere Leute Rücksicht zu nehmen. Und wenn es grade mal wieder richtig besch….. ist darf das auch ausgesprochen werden, wirklich gute Freunde verstehen das und halten das auch mal aus.
    Soviel zum Thema „stelle sicher………“ Super Spruch, Marta, ich danke Dir dafür!
    Gruß Silvia

  2. Hallo liebe Martha,
    wie wahr.,so ist es.
    Weinen darf nicht, da fühlt sich der Andere persönlich angegriffen. Wenn ich nur noch sterben möchte, meint meine Physiotherapeutin, ich wäre nur depressiv. Den „Kampf“ kann man nicht gewinnen, Wenige verstehen das. Ich bin müde.

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