Machen was möglich ist

Seit zwei Wochen etwa lebt jetzt die Sportgruppe. Das bin ich, und ein Hand voll Teilnehmer unserer Stammtisch. Wir machen jeden Tag eine Stunde Sport, jeder soviel, was ihn möglich ist und gut tut. In ein gemeinsames Online-Dokument tragen wir jeden Tag ein, wer was gemacht hat und wer wie sich fühlt. Nach sieben Wochen werten wir aus und sehen wir ob es was gebracht hat.

Initiator der Aktion war eine Mobilitätsstudie, wo uns dort alle abgelehnt haben. Weil wir alle MSA-C sind, und Zielgruppe der Studie sind MSA-P-Patienten. Jetzt machen wir eben unsere eigene kleine Studie, mal sehen, ob die uns was bringt.

Was kann ich nach zwei Wochen sagen?

Erstmal, diese Gruppengefühl tut gut. Es ist manchmal so schwer, den inneren Schweinehund zu überwältigen. Wenn ich diese Gruppengefühl nicht hätte, würde ich mich hier und da auf der Couch verkriechen und nichts machen. Ich will mich aber vor meinen Mitstreiter nicht blamieren, steh ich also auf, und mache meinen Pensum.

Für mich waren die ersten Tage die Hölle, es war eher schlechter als besser. Es war auch erschreckend tatsächlich festzustellen, wie schlecht ich geworden bin. Wenn man nicht so viel macht, merkt man es garnicht, wie schnell man abbaut.

Also so langsam jetzt macht sich das ganze bemerkbar. Weniger Schmerzen, man ist geschmeidiger, Fatigue besser. Was bleibt, ist das schlechte Gleichgewicht. Und man hat weiterhin bessere und schlechtere Tage. Manchmal macht man das ganze mit viel Elan und viel Kraft, manchmal hat man das Gefühl, man ist ein Luftballon, der halbleer ist.

Das ganze führt mir auch vor Augen, was aus mir, aus meinem Leben geworden ist. Vor vier Jahren voll im Leben, 12 Kilometer in eine Stunde gelaufen, Yoga, Kitesurfen, EMS… und jetzt kaum ein paar Hundert Meter am Rollator laufen. Jede noch so kleine Schritt, wie auch von der Couch zum Kühlschrank, oder nachts vom Bett zum Klo – alles ist Sturzgefährdet, was einen Bruch oder Zerrung bedeuten kann, was den Verlauf meines Lebens beeinflussen kann. Das was ich jetzt mache und Sport nenne, war vor kurzem nicht mal beachtenswert, und wurde von mir belächelt.

Vor der Diagnose – 2017 aufm Weg zur EMS
Nach der Diagnose – 2019 beim Treppenlaufen – wo es noch ohne Hilfe ging

Neulich habe ich im Fernsehen eine Sendung gesehen, wo es um Krebs ging. Und Prominente die erfolgreich dagegen gekämpft haben. Krebs ist auch eine tückische Erkrankung, keine Frage. Was wäre ich froh, wenn ich eine Chance hätte zu kämpfen. Das blöde ist an diese Krankheit, dass der Ausgang ist unumgänglich. Und dass muss man einmal verdauen. Diese Entgültigkeit ist so hart hinzunehmen. Ich möchte so gerne kämpfen. Aber für was? Für zwei Tage Lebenszeit extra die ich unwürdig verleben darf? Ist das ein Sinn? Egal, ich tue und mache soviel ich kann, auch wenn ich nicht unbedingt weiss für was. Vielleicht bleibe ich so länger beweglich und autark.

Es ist schwer, sich jeden Tag aufs neue zu motivieren. Ich stehe morgens auf, und denke ich „Schon wieder?“. 

Ich hätte gerne mehr Präsenz. Wir, und unsere Krankheit, sind so unsichtbar. Dass jemand für uns spricht. Weil mittlerweile kann ich nicht mal für mich sprechen weil meine Sprache so doof ist. Schwer verständlich und Anstrengend.

Egal, so lange ich noch da bin, mache ich weiter. Und wenn mir die Krankheit die Möglichkeit nimmt selbständig zu agieren, gehe ich freiwillig. Wenn ich kann.

7 Antworten auf „Machen was möglich ist“

  1. Ich habe seit einem halben Jahr die Diagnose Msa C . Seit einem Vierteljahr ist mir beim Spazierengehen „turmelig“;das ist ein schwäbischer Ausdruck und meint einen Zustand vor dem Schwindel. Mit Hilfe von Stöcken fühle ich mich sicherer. Im Haus kann ich mich überall halten und fühle mich ok; ich muss halt aufpassen und bspw. darf keine Leiter raufsteigen- ich falle sonst runter. Da fällt Gartenarbeit und die meiste Hausarbeit weg, das ist schade, da ich beides sehr gerne gemacht habe. Mich interessiert – ein Sesseldreirad – der Einbau eines Treppenliftes-wie kann ich eine Pflegestufe erhalten.? – wo kann ich mit Gleichgesinnten Sport machen? Ich lebe in Lichtenwald (73669 Lichtenwald-Hegenlohe

  2. Hallo Uwe,
    Du mußt ich an Deine Krankenkasse/Pflegekasse wenden, die schicken Dir den medizinischen Dienst zur Feststellung des Pflegegrades. Vorher bekommst Du einen Fragebogen, den schickst Du zurück mit den Befunden Deiner Ärzte/Klinik. Ab Pflegegrad 2 bekommst Du Zuschüsse für behindertengerechte Ein- und Umbauten.
    Gruß Silvia

  3. Liebe Marta, liebe Marion,

    ich möchte der Krankheit gerne etwas Aufmerksamkeit geben im Rahmen meiner Masterarbeit. Ich studiere im letzten Semester Wirtschaftspsychologie und stehe vor der Wahl meines Themas. Meine Mama (Sylvia H.) nimmt an euren Stammtischen teil, hat seit letztem Spätsommer MSA-C diagnostiziert.

    Meine Studienidee richtet sich an die persönlich angewandten Coping Strategien von Betroffenen und Angehörigen. Das heißt wie wird mit dem Stress, der Trauer und der allgemeinen Bewältigung umgegangen. Zusätzlich würde ich mit Experten zu dem Thema sprechen.
    Dazu bedarf es einem Interview, meist zwischen 40 und 60 Minuten.

    Es wäre mir eine Herzensangelegenheit zu dem Thema eine Studie durchzuführen und im Nachgang die Ergebnisse zu teilen.

    Die Machbarkeit ist noch offen.
    Besteht Interesse in der Gruppe? Plus dass es unumgänglich ist noch eine Zeitlang sprechen zu können.

    Lg Sophie

Schreibe einen Kommentar zu Silvia Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert