Es war einmal…. Ich – und was davon blieb

Ich erschrecke mich manchmal, wenn ich an einen Spiegel vorbei gehe. Bin ich das oder ist das jemand anderes? Ich bin so komplett eine andere Person wie früher. Menschen die mich früher gekannt haben, würden mich wahrscheinlich gar nicht erkennen. Allein wegen den abgeschnittenen, grauen Haaren und die Brille, die ich jetzt trage. Aber auch wegen der Haltung, früher war ich Eine mit durchgestreckten Wirbelsäule, auf hohen Schuhen, kerzengrade – jetzt schlürfend und watschend wie eine angeschossene Pinguin.

Manchmal zweifel ich den eigenen Existenz. Ich bin so eine andere jetzt. Wenn ich im Gespräch mit anderen bin, sehe ich mich, oder fühle ich mich, wie früher. Dann fühle ich mein Inneres, meinen Charakter, und dann weiss ich, dass ich es bin. Denn innen hat sich nichts verändert. Ich mag den gleichen Stil, die gleiche Musik, die gleichen Gerichte. Und auch  wenn diese Krankheit so ziemlich alles von mir weggenommen hat, meine Persönlichkeit bleibt, und um das abzutreten, muss ich schon sehr gebrochen sein.

Ich weiss dass ich es bin, vor allem weil ich mich über Sachen aufregen kann, wie früher, und das sage ich auch überall, wo ich nur kann, und auch wenn ich nicht gefragt werde.

Wenn so ist, das Trauerbewältigung aus 5 Phasen besteht, nämlich: 

  1. Leugnen
  2. Wut
  3. Verhandeln
  4. Depression
  5. Akzeptanz

dann bin ich in Phase 2 stecken geblieben.

Was mich alles aufregt?

Zum  Beispiel dass meine Krankheit oft mit MS und Parkinson verwechselt wird und diese zwei immer im Vordergrund stehen. Fonds werden gegründet, TV-Werbung wird gemacht… Keine Frage, beides schlimme Krankheiten, aber MSA ist auch tückisch wenn nicht noch tückischer und kein Mensch redet darüber. Wenn ich im Fernsehen ein Werbespot sehe der diesen Krankheiten gewidmet ist, Spenden sammelt und Aufmerksamkeit generiert, dann würde ich am liebsten schreien „Hat die Welt uns vergessen?“.

Dann, wenn Promis mit ihren „Schicksalschlägen“ gross thematisiert werden, denen wird abendfüllend zur Prime Time im Fernsehen eine Sendung gegeben, weil die zB. mit einem krummen Finger auf die Welt gekommen sind, weswegen die kämpfen und leiden haben müssen…. mich beschleicht das Würgereiz.

Ich kann mich aufregen, wenn ich als die „arme kranke“ behandelt werde, wie Kleinkinder die immer gewinnen lässt – auch wenn das manchmal zugegeben echt praktisch ist. Wie ein rohes Ei behandelt zu werden, mitleidig und voller Verständnis angesehen zu werden, treibt mich zu Weissglut.

Dann eine schwierigere Sache…. Von einer kranken Person wird erwartet dass man still und zurückgezogen ist, gebeutelt und mit gesenkten Haupt. Das bin nicht, ich glaube ich werde deswegen auch oft überschätzt. Es wird vorausgesetzt, dass ich auf andere mit einer Erkrankung aufgeschlossen zugehe, denn wir sind Leidensgenossen. Und weil ich eben erstmal „fremdel“ und Abstand halte, überrasche ich viele…

Des weiteren regt mich eine weitere Sache auf, und damit umzugehen ist echt schwierig. Immerhin, ich mag niemanden verletzen, und über einen offenen Umgang bin ich ja dankbar.
Es kommen oft gutgemeinte Ratschläge und Alternativen von Freunden, Bekannten und Angehörigen, die ich nicht voller Hoffnung, und erfüllt mit Dankbarkeit annehmen kann. Hellseher, Wundermittel, Wunderdoktoren, Familienzusammenführungen, wundersame Pilze, Apps die mit „elektronischen Schwingungen heilen“, und ähnlich sehr alternative Methoden… Ich sollte dann immer diesen Vorschlägen nachgehen, und diese ausprobieren. Auch wenn die oft soviel kosten, dass ich das nie bezahlen könnte, egal, es hängt ja meine Gesundheit daran.
Menschen meinen es gut, es ist manchmal nur nicht sinnvoll, und wenn ich diesen Vorschlägen nicht nachgehe, werde als negativ und undankbar abgestempelt. Es ist aber so, dass ich mittlerweile sehr viele Krankheitsverläufe und Geschichten kenne, und wenn jemand auf etwas stossen würde was hilft, das würde ich garantiert kennen. Und ich glaube nun mal nicht an solchen dubiosen , wissenschaftlich nicht bewiesenen Mitteln und und alternativen Methoden….

Dann ist hier ein bestimmter Menschenschlag, die ich verabscheue. Menschen, die aus irgendeinen Profitgier helfen. Es steht oft nicht mal das finanzielle Profit im Vordergrund, ich habe Menschen begegnet, die ihren angeschlagenen Selbstwertgefühl mit dieser „Samariterdasein“ polieren wollen.
Neben einen unheilbar Kranken ist ja nicht schwer als „tolle und fähige  Mensch und Helfer“ zu stehen. So erntet man von seinem Mitmenschen Applaus, und fühlt sich wie ein wahrer Wohltäter. Leider oft auf die Kosten von der Hilfsbedürftigen Person, denn denen werden Entscheidungen aufgezwungen, und diese Menschen können sich oft gar nicht wehren oder ihren eigenen Wille und Wunsch mitteilen.

Dann regen mich Konsorten auf, die denken, dass es für mich eh egal ist, mich will eh keiner mehr, und ich nehme jetzt alles. Ich habe leider seit meiner Erkrankung Begegnungen mit Menschen gehabt, wovon mir die Haare aufstellen, und deren Einstellung ich kaum glauben konnte.

Was ich so richtig hasse, wenn ich wegen meiner Krankheit für blöd gehalten werde. Das kam auch ein paar mal vor.  Ich sehe halt aus wie ein Betrunkener, aber ich sehe nur so aus. Wenn so eine Reaktion von Menschen kommt, die gar nicht „im Bilde“ sind, dann kann ich es noch verstehen. Diese Art von Umgang kam aber ganz oft von Menschen die genau gewusst haben was mit mir los ist. Meine Art, wenn ich andere Meinung bin oder protestiere,  wenn ich nicht demütig den Haupt senke, wird dann alles auf die Krankheit geschoben, wenn ich was zu sagen habe, wird es garnicht angehört, es wird abgewunken „ist ja gut“, und mir wird dann etwas „zur Beruhigung“ angeboten. Als wäre es unmöglich dass ich eine eigene Meinung und Wille habe.

Es gibt also noch ein par Dinge auf dieser Welt die ich nicht mag. Die hätte ich auch früher auch  nicht gemocht, und so bleibt es jetzt auch. Ich bin froh und beruhigt, dass ich so geblieben bin, wie ich war. Manche Dinge ändern sich nie, und manche ändern sich zu schnell. Ja, manchmal bin ich verloren in dem Wahnsinn, wo man um jede Kleinigkeit kämpft, um SICH SELBST ein Stückweit zu erhalten. Es ist genug, worauf man aufpassen muss bei diese scheiss Krankheit, das alles könnte man sich sparen.

8 Antworten auf „Es war einmal…. Ich – und was davon blieb“

  1. Liebe Marta du sprichst mir aus der Seele auf mich treffen wahrscheinlich alle genannten Punkte zu ausser der letzte und das wird er auch nie.,Auch nicht nach sechs Jahren viele liebe Grüße von Jutta

    1. Alles Liebe für dich Jutta! Ja, nur Besondere Menschen bekommen harte Wege – wenn das tröstet…
      Nichtsdestotrotz geben wir uns nicht Kleingeschlagen, stimmt’s?!
      LG; Marta

  2. Hey… da hast so nen scheiss an der Backe und dann musst du dich auch noch darüber ärgern das man von deiner äußeren Erscheinung auf dein Inneres schließt… aber so sind die Menschen, andere nach dem Äußeren beurteilen und in eine Schublade stecken. Es lebt sich einfacher wenn man nicht genauer hinschaut…
    Aber was den Spiegel angeht – ich denk mir manchmal auch wer is denn die dicke Alte da… ich drück dich…

  3. Liebe Marta
    Genau mit diesen Punkten hatte meine Mutter auch zu kämpfen. Es hat mich sehr traurig gemacht, wie man sie nicht mehr für voll genommen, sie belittled, sie für dement gehalten hat. Es wurde von ihr Demut erwartet und dass sie sich damit abfinden sollte.
    Ich habe sie bis zum Schluss so gesehen, wie sie wirklich war – ihren Geist, ihren Witz und ihre Fehler.

    1. Ich sehe es auch nicht ein, warum ich jetzt eine andere sein soll. Man wird durch die Krankheit so schon eine andere, dann wenigstens will ich mich im Wesen so behalten und so akzeptiert werden, wie ich bin.
      LG, Marta

  4. Liebe Marta, Du warst und bist eine starke Frau! Gerade, dass Du nicht die Krankheit akzeptierst und Dich immer wieder dagegen wehrst, du nicht mit Demut alles hinnimmst, macht Dich aus. Du bist ein „Realo“. Die gut gemeinten Ratschläge, pfeifen wir drauf Meinte doch neulich eine Bekannte, als sie von meinen Verkrampfungen im Hals- und Nackenbereich erfuhr: da muss mal jemand richtig massieren – schön, wenn es so einfach wäre. Das einzige Gute an unserer Krankheit ist, dass ich Dich und viele andere nette Menschen durch die Scheiß MSA kennengelernt habe. Deine Berichte gebe ich meinem Mann gerne zum Lesen, Du drückst oftmals besser aus, als ich selbst sagen könnte!
    Manuela

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