Die Leichtigkeit des seins (oder die Schwierigkeit des seins?)

Wie es ist in einem MSA-Körper zu stecken? Ich wünsche es oft meinen Mitmenschen, nur für 5 Minuten. Ich weiss auch nicht, wie ein anderer MSA-Kranke sich fühlt. Wir sind zu verschieden.

Auf alle Fälle fühle ich mich primär, wie jemand, der sehr-sehr betrunken ist. Seit fast drei Jahren warte ich nun drauf, dass diese Rausch mal vorbeigeht und ich eines Tages „nüchtern“ aufwache. Leider passiert das nicht, ich werde dafür immer mehr „betrunkener“. 

Ich erinnere mich, am Anfang meiner Krankheit, noch undiagnostiziert, traf mich meinen Hotel-Vermieter (ich war damals mal in einem Hotel), aufm Weg zur Frühstück und meinte, ich hätte die Nacht durchgemacht und habe  noch eine ordentliche Menge Restalkohol im Blut. „Na, wie war die durchzechte Nacht? In welche Kneipe warst du denn?“ – grinste er mich an in der frühen Morgenstunde. Dabei war ich absolut unschuldig und brav, in meinem Bett geschlafen. Oder wie ich todesbeleidigt war, als mein Ex mir im Streit unterstellte, ich hätte ein Alkoholproblem. Ich war vollkommen empört. Heute weiss ich, er kannte mich gut und wahrscheinlich er hat etwas gesehen.

Auf alle Fälle, fällt es mir schwer zu beschreiben wie es mir geht, vor allem mit einer Sprachfehler. Die meisten trauen mir wesentlich heftigere Sachen zu, als ich es mir selber zutrae. Ich tue mich auch schwer zu erklären, dass, wenn ich mal falle, dann hilft mir kein Abstützen, kein Rollator und auch kein Begleitperson. Und fallen kann ich wegen einer ungünstigen Beinstellung, ich muss nicht mal stolpern. Und wenn ich zum Sturz ansetze, bin ich wie ein nasser Sack. Schwer und unaufhaltbar.

Da kann ich aufpassen wie ich will, das blöde ist, dass meine Beine (mein ganzer Körper) manchmal Dinge machen, oder nicht machen, die ich gar nicht will. Ja, wenn man kein Vertrauen zur eigenen Körper hat, die Erfahrung muss man auch mal erleben!

Inwieweit ich mit chronischem Müdigkeit, in Fachkreisen Fatigue genannt, zu tun habe, ist fraglich. Ich könnte auf alle Fälle den ganzen Tag im Bett liegen und mich nicht bewegen.

Für viele Außenstehende sieht es nach Gleichgewichtsproblemen aus. Das ist jedoch nur ein Bruchteil der Sache. Bei jedem Schritt habe ich Angst, der Bein könnte zusammenklappen. Es ist ein wenig so, wie laufen auf meterhohen Watte. Schmerzen kommen noch hinzu, in der Wade, die Knie drohen zu durchbrechen, Schmerzen in den Oberschenkeln, in der Hüfte…. wobei diese Schmerzen sind mein kleineres Problem. Das ganze fühlt sich an, wie ein sehr betrunkener Pirat mit zwei Holzbeinen bei heftigem Seegang.

Es wäre fast lustig, wenn nicht noch ein paar andere Sachen hinzukämen.

Draussen droht die Sonne. Wenn es schief läuft, fangen meine Augen an zu brennen und zu tränen und ich sehe nichts mehr. Blindheit, Gangstörungen und Gleichgewichtsprobleme sind eine sehr ungünstige Kombination.

Zudem, aufsteigende Rückenschmerzen, Kraftausfall drohen. Ein Arzt sagte mir mal, diese aufsteigende Rückenschmerzen sind ein Zeichen vom fallenden Blutdruck, also möglichst schnell hinsetzen. (Gangstörungen und schnell sein, sind auch wieder eine sehr herausfordernde Kombi). Ich habe diese Schmerzen im hinten im Hals (Vorreiter vom Antecollis (übermäßig nach vorne geneigte Hals)?), Schulterschmerzen sogenannte „Kleiderbügelschmerzen“, Coat Hanger Pain, und Schmerzen in der Nierengegend. In dem Fall handelt es sich um Schmerzen, die einen garantiert zwingen, hinzusetzen oder hinzulegen. Und ich vertrage, dulde Schmerzen eigentlich noch gut. Aber diese Art von Schmerzen kann ich garnicht beschreiben, und wenn die auftreten, habe ich keine Zeit und Kraft diese zu erklären. Man hat das Gefühl auseinander zu brechen, der eigene Körper wird zu schwer zum tragen und man muss augenblicklich aufgeben. Auf den Boden legen ist keine Option weil ich nicht in der Lage bin mich abzusenken. Und wenn man einmal unten ist, ohne Hilfe kommt man auch nicht mehr hoch.

Die Gefahr von Orthostatischen Hypotonie kommt auch noch dazu. Ich bin noch nie ohnmächtig geworden, stelle ich es mir auch ungut vor, inkl. Verletzungen, was dann ein Sturz mit sich bringt. Mir ist „nur“ schwarz geworden vor den Augen, und ich hatte bisher immer das Glück, mich schnell hinsetzen zu können (gegen etwas lehnen half auch). Auf alle Fälle, wenn das kommt (immer schön unerwartet), hat man auch nicht die Zeit zu erklären.

Während der ganzen Tour schaut man stoisch auf seine Füße. Aufzublicken, oder zur Seite sehen macht den Karusseleffekt größer, und ein Verlust des Gleichgewichts ist garantiert. Daher vom „sightseeing“ hat man nichts, es ist egal wie schön die Gegend ist.

Zum Niesen, Husten oder Nase putzen muss man stehen bleiben sonst verliert man wieder den Gleichgewicht. Und Stehen an einem Fleck provoziert wiederum Blutdruckabfall. Ein Dilemma.

Reden und gehen gleichzeitig, ist auch eher nicht. Man kann sich nur auf eine Sache konzentrieren. Die Zeiten von Multitasking sind vorbei.

Was das ganze aufrundet, ist die unberechenbare Blasen und Darm-Aktion. Ich hatte damit bis jetzt Glück, herausfordern möchte ich es jedoch nicht. Nur soviel dazu, wenn man „muss“, geht es um Sekunden und nicht Minuten. Dann anzufangen, eine öffentliche Toilette zu suchen, ist definitiv zu spät. Darum habe ich wohl den Spleen, immer wissen zu wollen, wo die nächste Toilette ist. Und diese muss auch möglichst sauber sein, denn zu desinfizieren hat man in der Regel keine Zeit. Man muss auch dazu sagen, dass Frauen sich oft schwerer tun als Männer, denn als Frau kann nicht irgendwo stehen bleiben, sich umzudrehen und pinkeln.

Also so in etwa fühlt es sich an, wenn ein MSA-Kranke „gemütlich“ einen Spaziergang macht.

2 Antworten auf „Die Leichtigkeit des seins (oder die Schwierigkeit des seins?)“

  1. Liebe Marta,

    ich lese deinen Blog immer – auch wenn mein geliebter Vater leider im Januar an dieser schrecklichen Krankheit gestorben ist. Ich suche immer noch antworten auf meine Fragen. Ich weiß, dass es diese nicht gibt..

    Wir haben diese Krankheit einfach nicht erkannt, wie denn auch, nicht einmal Neurologen wussten, was mein Vater hatte. Er hat immer von einem Schwindel erzählt, er hat immer gesagt, dass wenn er manchmal auftritt es sich so anfühlt, als würde sein Fuß durch den Boden durch gehen, im Boden versinken. Er ist so oft gestürzt und konnte irgendwann nicht mehr aufstehen ?

    Wieso gibt es keine Medikamente dagegen? Für Parkinson gibt es doch auch Levodopa? Von Levodopa wurde ihm leider immer so schlecht und wir dachten, dass er die Tabletten einfach nur nicht nehmen will..

    Ich wünsche mir, dass es hoffentlich bald oder zumindest irgendwann ein Medikament gegen MSA geben wird.

    Alles Liebe wünsche ich dir, liebe Marta ?

  2. Ich kann mich Julia nur anschließen, meine Schwester hat den Kampf gegen MSA leider auch verloren:(Und es bleibt nur ein großes warum….. Ich wünsche mir dass es verdammt schnell ein Medikament für diese schreckliche Krankheit gibt. Gebe bitte nicht auf!!! Drücke dich von Herzen.

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